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Sonderfall China

Bernd Hartmann, Leiter CIO-Office
Lesedauer: 4 Min
China wäre nach aussen hin lieber noch Schwellen- als Industrieland. Aber die Wahrnehmung der Welt ist eine andere. Fünf Gründe, warum das Land dem Status des typischen Schwellenlands entwachsen ist.

Die chinesische Staatsführung nimmt für ihre Nation gerne den Status eines Entwicklungslands in Anspruch. Schliesslich gehen damit viele Vorteile einher. Die Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) räumt längere Umsetzungsfristen für Vereinbarungen ein und sieht Sonderbehandlungen für Staatssubventionen vor.

Hinweis: Dies ist eine gekürzte Fassung des gleichnamigen Artikels aus dem Investmentmagazin Teleskop mit dem Titel "Schwellenländer neu sortiert". Das Magazin erscheint alle sechs Monate und Sie können es hier herunterladen.

Auch im Klimaschutz werden weniger strenge Massnahmen erwartet. Auf der anderen Seite liefert sich die Wirtschaftsgrossmacht in technologischen Gefilden einen Wettlauf mit den USA und dehnt den wirtschaftlichen und politischen Einflussbereich aus.

Wir zeigen, warum China nicht mehr als typisches Schwellenland gelten sollte.

1. Internationaler Kapitalgeber

China wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zwar auf der Liste der Empfänger von Entwicklungshilfe geführt. Doch seit zehn Jahren ist die Bilanz negativ: China zahlt mehr Hilfsgelder zurück, als es erhält. Mehr noch: Das Reich der Mitte ist ein wichtiger Geldgeber. Chinas Geld fliesst aber bei weitem nicht nur in Schwellen­länder, sondern auch in den Westen. Chinas Vorgehen wird häufig als «Schuldendiplomatie» bezeichnet. Das Land ist zu einem der einflussreichsten Gläubiger weltweit aufgestiegen, wie drei Akademiker, darunter Carmen Reinhart, nachweisen.

2. Selbstbestimmung

China kann sich vieles leisten, weil es wirtschaftlich gut dasteht. Seit dem Beitritt zur WTO im Jahr 2001 steigt der Aussenhandelssaldo. Dass China mehr ex- als importiert und es zudem über eine hohe Sparquote verfügt, macht es unabhängig. Das weltweit bevölkerungsreichste Land ist zudem als Absatzmarkt für ausländische Unternehmen attraktiv. All das ist eine äusserst komfortable Ausgangslage: Das Tempo der wirtschaftlichen Öffnung kann China weitgehend selbst bestimmen und es kann sich leisten, ­hinter den eigenen Reformversprechen zurückzubleiben.

3. Technologieführer

Mit der Rolle als «Werkbank der Welt» hat China nach dem WTO-Beitritt enorme Marktanteile gewonnen. Zunächst hat es sich dabei um einfache, aber arbeitsaufwendige Produkte gehandelt. Jetzt geht es darum, die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen, sondern auf eine aktive Industriepolitik gesetzt.

China sieht sich bereits auf Augenhöhe mit amerikanischen Tech-Giganten und den industriellen Vorreitern aus Europa. In ausgesuchten Bereichen sind chinesische Unternehmen bereits führend, wie bei digitalen Zahlungsmitteln, dem neuen Mobilfunkstandard 5G oder künstlicher Intelligenz für Überwachungssysteme.

4. Überalterung

Bei aller Konkurrenz eint China und die arrivierten Industrieländer ein gemeinsames Schicksal: die Überalterung der Gesellschaft. Als Folge von drei Jahrzehnten Ein-Kind-Politik ist die Gruppe der über 65-Jährigen grösser als die der unter 35-Jährigen. Zwar wurde diese Politik vor fünf Jahren aufgehoben, doch die Geburtenrate ging weiter zurück. Gleichzeitig stieg die Lebenserwartung. Demografen der University of Washington in Seattle prognostizieren für das Jahr 2100 eine Beinahe-Halbierung der Bevölkerungszahlen. Noch stärker wird die Zahl der Arbeitskräfte zurückgehen – von rund 950 auf 350 Millionen. Die ungünstige Demografie ist wohl die Achillesferse.

5. Globaler Machtanspruch

Lange war das Land auf der politischen Weltbühne kaum aufgetreten. Unter Präsident Xi endet diese Zurückhaltung, auch wenn China heute politisch noch nicht das gleiche Gewicht auf die Waage bringt wie wirtschaftlich. Geschickt nutzte Xi dabei den Rückzug der USA aus internationalen Organisationen unter Donald Trump. In vier von 15 Unterorganisationen der UNO stellt China heute den Vorsitzenden. Der Machtanspruch Chinas wird durch militärisches Aufrüsten untermauert. Bis 2049 will Peking die weltweit führende Armee aufgebaut haben. Doch setzt China auch sanfte Mittel ein, um aufzusteigen. Zum Beispiel während der Pandemie, indem es Masken und Hygieneartikel ins Ausland lieferte und Entwicklungsländer mit Corona-Impfstoff versorgt. So dürfte China bei vielen Schwellenländern punkten, denn der Westen hat es versäumt, günstige Impfungen zu liefern.

Fazit

China strebt danach, seine frühere Bedeutung, welche es bis zum industriellen Zeitalter innehatte, wiederzuerlangen. Dabei setzt es nicht nur auf wirtschaftliche Macht, sondern baut auch den geopolitischen Einfluss aus. Mit dem neuen Selbstbewusstsein ist China im Konzert der grossen Mächte Partner und Konkurrent zugleich. Auf China warten aber grosse Herausforderungen. Für Anleger ist das Reich der Mitte auf jeden Fall zu gross und einflussreich, um ignoriert zu werden. Nur sollte es nicht in einen Topf mit anderen Schwellenländern geworfen werden.

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